Das Neueste sind jetzt Plastikbeutel, durchsichtig, wiederverschließbar, für alles, was flüssig ist, denn seit London, seit den vereitelten Plänen, ist flüssig gefährlich und der Plastiksack die neueste Waffe im Kampf gegen al-Qaida. Einen Liter darf so ein Sack insgesamt fassen, aber nichts enthalten, was allein schon mehr als 100 Milliliter enthält. Das muss nun seit dem 6. November in der ganzen EU überprüft werden, Fläschchen für Fläschchen, Tube für Tube, Flacon für Flacon. Und damit wären die Kontrollen eigentlich schon kompliziert genug. Dann aber, kurz vor dem 6. November, kam noch heraus, dass bei Tests der Bundespolizei am Frankfurter Flughafen rund ein Drittel aller versteckten Waffen und Sprengstoffattrappen durch die Sicherheitsschleusen geflutscht waren.
"Danach war bei uns die Hölle los", klagt eine Kontrolleurin, jeden dritten Tag neue Tests, und an jeder Kontrolllinie Bundespolizisten, die Anweisungen gaben: Hier noch den Hemdkragen ein zweites Mal überprüfen, dort noch genauer die Naht der Jeanshose - vielleicht hat ja nicht die Niete den Pieps ausgelöst, sondern eine versteckte Patrone hinter der Niete. Und jeden Tag neue Einsatzbriefings befolgen: alle Gürtel rausnehmen, an der Wade nachfassen, zwischen den Zehen herumstochern, mehr Hand ans Geschlecht.
Längere Wartezeiten kommen so immer wieder vor, und dass Passagiere durchdrehen auch. Neulich zum Beispiel sollte ein ziemlich aufgeregter Geschäftsmann auch noch das Taschentuch aus seiner Hemdtasche herausnehmen. Reine Schikane, dachte der Mann, schneuzte kräftig hinein und pfefferte den glibberigen Lappen in die Plastikwanne. Eine resolute italienische Mama klatschte einem Einsatzleiter empört die Hand ins Gesicht - sie hatte drei Gläser Honig abgeben müssen. "Ich find' das hier zum Kotzen" gilt neben "Hallo" und "Guten Tag" als eingeführte Begrüßungsformel. Von "gestandenen Geschäftsleuten, die vor Angst schwitzen, weil sie ihren Flieger ohne sich abheben sehen", berichtet Lufthansa-Sprecher Klaus Walther, von "Menschen in Panik", die ahnen, dass sie ihr Meeting verpassen und das Millionengeschäft, das daran hängen könnte. Auch die Lufthansa droht Millionen zu verlieren: Unzufriedene Kurzstrecken-Kunden sind künftige Bahnkunden.
Täglich wandern Waren für Tausende Euro in den Müll
Dass mancher Fluggast mittlerweile die Contenance verliert, hat auch damit zu tun, dass es nur wenige Bereiche des öffentlichen Lebens gibt, in denen der Unsinn inzwischen so selbstverständlich auf die Spitze getrieben wird wie bei der Fluggastkontrolle.
Auf einer Rangliste des Absurden zur Zeit die Nummer eins: der Duty-Free-Kokolores. Wer etwa in Rom hinter der Sicherheitskontrolle noch im Duty-Free-Shop einkauft, darf beim Umsteigen in Frankfurt seine Flasche Glenfiddich im Plastikbeutel durch die Kontrolle nehmen. Nicht aber, wenn der Passagier außerhalb der EU eingestiegen ist: Der Glenfiddich aus dem Duty-Free in Singapur oder Hongkong gilt im Kontrolleursjargon als "schmutzig". Ebenso der edle Rotwein aus Kapstadt, der teure Chardonnay aus Kalifornien, der selbstangesetzte Wodka aus Kasachstan, Chanel Nummer 5, leider aus Tokio - das fliegt deshalb in Frankfurt alles in die Mülltonne.
Jeden Tag gehen so allein in Frankfurt Waren im Wert von mehreren tausend Euro in den Abfall, schätzt die am Flughafen angestellte Kontrolleurin - "da spielen sich natürlich unglaubliche Dramen ab". Auch bei den Kontrolleuren: Einige, die nicht zusehen konnten, wie solche teuren Tröpfchen einfach die Müllverbrennung befeuern, sollen sich etwas eingesteckt haben - und dafür geflogen sein.
Weiter auf der Rangliste des Unsinns: Messer mit Klingenlängen von mehr als sechs Zentimetern sind verboten. Was aber sind sechs Zentimeter? Bei Taschenmessern wird ab Gelenk gemessen, bei Tafelmessern erst ab Rillung. Warum? Darum.
Bombenzünder sind so klein, dass sie kaum mehr zu orten sind
"Das System des Draufsattelns ist absolut ausgereizt", schließt Lufthansa-Sicherheitschef Andres aus solchen Schildbürgereien. So hat das Handbuch für die Passagierkontrolle inzwischen gut 180 Seiten, gespickt mit Vorschriften, worauf bei Personen und Handgepäck bitte zu achten ist. Bei einem Laptop in der Tasche hilft trotzdem nichts: "Was hinterm Laptop liegt, erkennt man nicht", erzählt ein Kontrolleur. Deshalb müssen neuerdings auch die Computer separat aufs Band. Selbst dann lassen sich aber Bombendrähte immer noch mit den Ladekabeln von Handys verwechseln und Zünder komplett übersehen - Zünder sind inzwischen so klein, dass sie so gut wie überhaupt nicht mehr zu orten sind.
Besonders ärgert einen Praktiker wie Andres, dass bei der Flugsicherheit zwar draufgesattelt, nie aber auch mal eine Vorschrift gestrichen wird - selbst wenn sie inzwischen überflüssig wäre. Schuld daran: die 2003 in Kraft getretene EU-Verordnung 2320/2002 zur Luftsicherheit, von der es selbst bei der EU heißt, die sei so ins Klein-Klein ausformuliert, dass man überflüssig gewordene Kontrollen leider nicht suspendieren könne. Erst demnächst werde man eine neue Rahmenrichtlinie haben, dann könne man endlich auch mal etwas streichen.
Beispiel Flughafen-Vorfeld:
Als es noch keine Sicherheitszäune gab, ordneten die Behörden an, dass jede Maschine, die länger als eine Stunde steht, zu versiegeln ist. Heute gibt es die Zäune, sie werden bewacht, doch an der Versiegelung der Maschinen hat sich trotzdem nichts geändert.
Oder die Kofferkontrolle:
In München wird jeder aufgegebene Koffer geröntgt, in Frankfurt demnächst auch. Trotzdem muss die Lufthansa jeden Tag 50 bis 100 Koffer aus Flugzeugen wieder ausladen, weil die dazugehörenden Passagiere nicht eingestiegen sind - es könnte ja Sprengstoff drin sein, trotz Röntgens. Könnte - war aber eben noch nie.
Vielflieger lassen ihre Augeniris scannen
Besonders ärgerlich: Passagiere, die aus Israel und den USA kommen und dort so scharf kontrolliert werden wie sonst nirgendwo auf der Welt, müssen sich beim Umsteigen innerhalb der EU ein zweites Mal filzen lassen. Merke: Für die EU ist nur die EU sicher, der Rest der Welt im Zweifel verdächtig.
"Die EU hat das Thema Sicherheitskontrolle für sich entdeckt wie die Krümmung der Banane", lästert ein Lufthansa-Mann, "doch was es erst so richtig schwierig macht, ist die verdammte deutsche Perfektion". Die Deutschen setzten auch noch jede Vorschrift Punkt für Punkt und aufs Komma genau um. Und deshalb reicht es der Lufthansa jetzt, sie fordert ein "Denken außerhalb der Box", wie ihr Chef Wolfgang Mayrhuber sagt. Schließlich habe man "mit Handtaschenumdrehen noch keinen einzigen Terroristen gefasst", stattdessen immer nur mit Polizei- und Geheimdienstarbeit.
"Trusted Traveller"-Programm nennt sich die Idee, die tief im Feld der bisherigen Denkverbote liegt. Das Konzept bevorzugt Passagiere, die sich einmal registrieren lassen und dabei einem gründlichen Sicherheitscheck unterziehen, mit Rückfragen bei der Polizei, möglicherweise auch beim Verfassungsschutz. Es sind Kunden, denen man anschließend mehr vertrauen kann als anderen und die deshalb flinker die Kontrollen passieren dürfen. Vor allem, weil sie vorher biometrische Daten hinterlegt haben. So nämlich sind sie an speziellen Biometrie-Kontrollpunkten eindeutig zu identifizieren. Niemand kann unter falschem Namen durchschlüpfen.
Bisher gibt es so etwas in Europa nur als Modellprojekt bei der Grenzkontrolle. Am Amsterdamer Flughafen etwa, aber auch am Frankfurter. Dort haben 20.000 Vielflieger ihre Augeniris scannen lassen und können nun deutlich schneller durch eine der vollelektronischen Grenzübergangsschleusen flitzen. Bei Personen- und Gepäckkontrollen sind solche Programme aber noch verboten.
Klicke in dieses Feld, um es in vollständiger Größe anzuzeigen.