Meilenguthaben unter Inflationsdruck
Meilenprogramme drohen durch eine zu laxe Vergabepolitik an Attraktivität zu verlieren.
Der Verkauf von Meilen an Partnerfirmen spült den Airlines Milliarden in die Kassen. Doch die Explosion der Meilenkonten führt zu einer schleichenden Entwertung der Guthaben.
Vor rund 25 Jahren begann American Airlines, guten Kunden als Treuebonus eine bessere Sitzklasse (Upgrade) oder gar einen Freiflug zu verschenken. Die Airline kostete die Idee nicht viel, denn es wurden nur unverkaufte Sitze vergeben. Lediglich das zusätzliche Essen und etwas mehr Flugbenzin schlugen zu Buche. Die ausgewählten Kunden fühlten sich allerdings reichlich bedacht, denn sie verglichen ihren Gewinn natürlich mit dem zahlenden Sitzplatznachbarn.
Diese Kundenbindungsprogramme haben in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung genommen. Heute gibt es laut Roger Williams vom Fachblatt «Airline Information» 175 derartige Programme.
Einträgliches Geschäft
Längst haben nicht nur die Fluggesellschaften gemerkt, dass ein in Aussicht gestellter Gratisflug für die Kunden ein starker Kaufanreiz ist. Kaufkräftige Vielflieger sind auch für Kreditkartenunternehmen, Hotels, Autovermieter und eine Armada anderer Unternehmen eine bevorzugte Zielgruppe. Sie klinken sich seit Jahren als sogenannte Partner in die Meilenprogramme der Airlines ein und bezahlen den Fluggesellschaften für an eigene Kunden vergebene Meilen. Bei der Swiss liegt der Preis je nach abgenommener Menge zwischen 1,3 und rund 2,5 Rappen pro Meile, wie ein Insider erklärt. Das Geld ist gut angelegt. In Kreditkarten-Kreisen weiss man, dass mit einer Schweizer Karte durchschnittlich 5000 Franken im Jahr umgesetzt werden. Ist sie an ein Meilenprogramm gekoppelt, vervielfältigt sich der Umsatz um das Vier- bis Fünffache.
Die Verkäufe der Meilen an Partner sind inzwischen zu einem schönen Einkommen für die Airlines herangewachsen. In den USA setzen nach Schätzung des Onlinemagazins «InsideFlyer» die sechs grossen Airlines rund 3 Mrd. $ mit Meilenverkäufen an Partner um.
Die Swiss veröffentlicht keine Angaben zu diesem lukrativen Geschäft. Ein Insider beziffert aber den durch das Miles-&-More-Programm generierten Umsatz für Swiss auf «sicher über 60 Mio. Fr. pro Jahr». Sprecher Franco Gullotti erklärt lediglich, dass derzeit rund 25% der vergebenen Meilen durch Partnergesellschaften verteilt würden. Tendenziell werde dieser Anteil weiter steigen, sagt Gullotti. Die jüngst abgeschlossenen Partnerschaftsverträge mit Coop und Swisscom bestätigen die Aussage. In den USA als Vorreiterin geben die Partner inzwischen mehr Meilen an Kunden ab als die Airlines selbst. «Frequent buyer» haben die «frequent flyer» als Gruppe überholt.
Doch welchen realen Geldwert haben die Meilen nun wirklich? Die Swiss erhält, wie gesagt, zwischen 1,3 und 2,5 Rappen pro Meile. Während die Partner die Rechnung für eingekaufte Meilen sofort bezahlen müssen, vergeht bis zur Einlösung in der Regel mehr als ein Jahr. Ausserdem verfallen gesamthaft betrachtet rund 30% aller ausgegebenen Meilen. Im Miles-&-More-Programm erhält der Meileninhaber beim Tausch gegen Sachwerte einen Gegenwert von geschätzten 0,63 Rappen pro Meile. Die Swiss erwirtschaftet also allem Anschein nach eine Marge von mindestens 100% auf den verkauften Meilen.
Kein Wunder, hat das Modell weltweit Schule gemacht. Die im Umlauf befindliche Meilenmenge hat sich deshalb gewaltig ausgeweitet. Die spezialisierte Website webflyer.com verfolgt die Entwicklung der «Meilenwährung» seit 1981. Damals wurden 4,1 Milliarden Meilen von den ersten Fluggesellschaften als Prämien vergeben, und die Kunden lösten rund die Hälfte dieser Meilen auch ein. Seither ist der Berg der verteilten und derzeit gültigen Meilen auf 20 000 Milliarden angewachsen. Gesamthaft wandelten die Kunden aber in all den Jahren nur 6000 Milliarden in Prämien um. Auf den Meilenkonten dieser Welt hat sich so ein Vermögen in Höhe von rund 14 000 Milliarden Meilen angesammelt.
Knappe Plätze
Die Zahl macht deutlich, dass die Fluggesellschaften, obwohl deren Sitzplatzangebot seit den achtziger Jahren auch zugenommen hat, diese Verbindlichkeiten unmöglich alle in Form von Flugleistungen abarbeiten können. Programme wie Miles & More versuchen deshalb, mit einer riesigen Auswahl an Sachwerten den Berg abzubauen. Das hartnäckige Horten der Meilen ist aber ein Hinweis darauf, dass viele Kunden das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht sonderlich attraktiv finden. Firmen wie das junge Schweizer Unternehmen Loylogic versuchen, diese Bedarfslücke zu schliessen. CEO Dominic Hofer ist ein alter Hase im Bereich von Meilenprogrammen. Sein Team entwickelt innovative Lösungen, in welchen Partner der Luxuskategorie Edelprämien anbieten. Damit will Hofer der «schleichenden Meilen-Entwertung» entgegentreten. Als grösste Kundin hat die Golf-Airline Etihad Airways dieses Angebot übernommen.
Die Meileninflation erzeugt für Qualitätsgesellschaften eine heikle Situation. In Zeiten voller Flugzeuge können die Wünsche der gut zahlenden Vielflieger nach Upgrades oft nicht erfüllt werden. «Ich werde meine Meilen kaum noch los», ärgert sich ein Geschäftsmann. Bei Swiss kennt man den Frust. Die Gesellschaft erklärt, man reserviere unverändert im Durchschnitt «eine Zahl im hohen einstelligen Bereich» an Sitzen für Meilenkunden. Vorzugsweise aber gibt die Airline auch sehr kurzfristig vor allem dann Sitze frei, wenn die Nachfrage der zahlenden Kunden eher gering ist.
Ein eindeutiges Indiz dafür, dass auch im Miles-&-More-Programm die Inflation grassiert, zeigt sich an den jüngsten Massnahmen der Lufthansa. Sie bietet ihren Vielfliegern seit September an, anstelle der offiziellen Preise den doppelten Meilenpreis für ein Upgrade oder einen Freiflug zu bezahlen. Dann könne man den Sitz zur gewünschten Zeit und Destination garantieren, heisst es in einem Rundschreiben. Derzeit beteiligen sich nur Lufthansa, AUA und LOT an diesem Programm. Die Swiss hat sich zu dieser kaum verschleierten Entwertung ihrer Meilen vorderhand noch nicht durchgerungen.
31. Dezember 2006
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